Rezension von Bjørn Stærk

Die deutsche Energiewende steht in der Tradition eines Konservatismus, der den norwegischen Konservativen fremd ist.

Panikreaktion. So fassten viele internationale Beobachter Angela Merkels Entscheidung auf, nach dem Atomunglück von Fukushima im Jahr 2011 die Hälfte der deutschen Kernkraftwerke sofort abzuschalten und die Übrigen bis 2022 stillzulegen. Die Deutschen verstünden Kernkraft nicht, hieß es. Aus Furcht vor dieser Technologie würden sie den Kampf gegen den Klimawandel sabotieren.

Doch es ist umgekehrt, schreiben das deutsch-amerikanische Autorenduo Arne Jungjohann und Craig Morris in ihrem lesenswerten Buch „Energy Democracy“, der ersten Geschichte zur deutschen Energiewende. Die Deutschen wissen mehr über Atomkraft als die Bürger in Ländern wie den USA, Frankreich und Großbritannien. Die deutsche Debatte ist breiter, weil nicht nur die Atomlobby über Expertise in diesem Bereich verfügt. In Deutschland haben viele erkannt, was andernorts oft übersehen wird: Dass nämlich Kernenergie nur profitabel ist, solange die Regierung zulässt, dass Energiekonzerne die Risiken der Technologieauf die Gemeinschaft abschieben.

Genau das ist in Fukushima passiert. Die Eigentümer der Kraftwerke mussten nur für einen Bruchteil der Schäden aufkommen, die sie verursacht hatten. Die Billionen teuren Folgekosten der Katastrophe muss die Gemeinschaft zahlen.

So war Merkels Entscheidung für den Atomausstieg keine Panikreaktion, sondern die logische Konsequenz einer 40 Jahre andauernden Debatte über die Vor- und Nachteile der Kernenergie. Eine Debatte, die zur Folge hatte, dass Deutschland zur führenden Nation im Bereich erneuerbare Energien wurde.

Bürgerenergie

Die Geschichte der Bürgerenergie begann in den 1970er Jahren, als die Regierung beschloss, ein Atomkraftwerk im baden-württembergischen Dorf Wyhl zu bauen. Die Landwirte protestierten dagegen und tausende Unterstützer besetzten die Baustelle. Sie verloren schließlich vor Gericht, bekamen aber so viel Aufmerksamkeit, dass die Behörden ihren Protest nicht ignorieren konnten.

Die Bauern waren gegen das Kraftwerk, weil die Betreiber nicht in der Region verankert waren, sie waren nicht Teil der regionalen Gemeinschaft. Als die Menschen zudem von den Risiken der Kernkraft erfuhren, fühlten sich viele hinters Licht geführt. Es gab neue Proteste gegen andere Atomprojekte, einige mit Erfolg, andere ohne Erfolg.

Atomkraftgegner gründeten unabhängige Energieinstitute. Sie warben für Sonnen- und Windenergie als Alternative zu Großkraftwerken und begannen über etwas zu reden, dass sie Energiewende nannten. Damit war der Weg hin zu einer Energieversorgung, die die Interessen von Bürger und Gemeinden in den Vordergrund rückt, eingeschlagen. Es entstand eine Kultur der Energiedemokratie, die sich dadurch auszeichnet, dass sich normale Bürger mit Energiefragen auseinandersetzen und ihre Energie vor Ort selbst erzeugen.

Lektion der deutschen Energiewende

Die überraschendste Erkenntnis über die Energiewende aus norwegischer Sicht ist, dass es sich um ein konservatives Projekt handelt. Die Wende wurde von konservativen Bauern angeführt und es waren Kirchen, die beschlossen, Windkraftanlagen und Sonnenkollektoren zu bauen. Nicht etwa, weil sie Angst vor dem Klimawandel hatten. In erster Linie suchten die Menschen einen Weg, Energie auf eine Weise zu produzieren, die sie kontrollieren konnten.

Dies ist eine Seite des Konservatismus, den die norwegische Rechte vergessen zu haben scheint: Ein Konservatismus, in dem Demokratie vor Ort, lokale Gemeinschaften und kleine Unternehmen Vorrang vor Staatskapitalismus und Großindustrie hat. Eine Denkweise, die die Welt als Erbe begreift, welches wir bewahren müssen anstatt ständigen Wachstum ohne Rücksicht auf die Folgen anzustreben.

Konservative deutsche Landwirte sind unsentimental. Sie wissen, dass man die Ressourcen der Erde nutzen sollte. Aber sie wissen auch, dass es besser ist, mit ihren Nachbarn Kräfte bündeln, um eine Windfarm zu bauen, anstatt dies einem Unternehmen zu überlassen, welches „too big to fail“ ist und nur seinen anonymen Aktionären verpflichtet ist.

Die Energiewende ist auch ein linkes Projekt. Es war mit Rot-Grün eine Regierung der linken Mitte, die Ende der 1990er Jahre die Förderung erneuerbare Energien ausweitete. Aber Morris und Jungjohann argumentieren, dass konservative und linke Bündnisse für den Umstieg auf erneuerbare Energien mehr gemeinsam haben, als mit den Technokraten ihrer eigenen politischen Lager.

Technokraten standen der Energiewende von Anfang an skeptisch gegenüber. Doch sie lagen falsch. Heute schmücken sich Politiker gerne mit der Energiewende, als sei diese ein Geschenk Deutschlands an die Welt. Da in Deutschland Solaranlagen und Windräder gebaut wurden, als dies noch sehr teuer war, sanken die Preise für die Kosten erneuerbarer Energien weltweit. Heute ist es für uns alle günstiger.

Das Kapitel über den politischen Prozess hinter der Energiewende ist zu lang. Aber „Energy Democracy“ ist das originellste und ideenreichste Buch zu Energie- und Klimafragen, das ich seit langem gelesen habe.

Energy Democracy. Germany’s Energiewende to Renewables von Craig Morris und Arne Jungjohann. Palgrave MacMillan 2016. ISBN 978-3-319-31891-2.

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